Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 26.11.2013


BVerwG 26.11.2013 - 2 C 9/12

Dienstunfall; keine Unfallfürsorge auf privaten Flächen


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsdatum:
26.11.2013
Aktenzeichen:
2 C 9/12
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 19. März 2012, Az: 3 B 11.8, Beschlussvorgehend VG Ansbach, 23. März 2010, Az: AN 1 K 09.2065, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Auf Flächen, über deren Nutzung ein Dritter allein entscheiden kann, findet kein allgemeiner Verkehr statt. Unfälle auf diesen Flächen unterliegen selbst dann nicht der Unfallfürsorge des § 31 Abs. 2 Satz 1 BeamtVG, wenn sie sich auf dem Weg zwischen Dienststelle und Wohnung des Beamten ereignen.

Tatbestand

1

Die Klägerin steht als Studienrätin im Dienst des Beklagten. Im Oktober 2008 fuhr sie nach Beendigung ihres Dienstes mit ihrem Kraftfahrzeug nach Hause. Dieses stellte sie in dem ihrem Wohnhaus gegenüber liegenden Parkhaus ab, dessen Schranke geöffnet war. Die ca. 500 Stellplätze des Parkhauses sind sowohl an private als auch an gewerbliche Nutzer vermietet. Die Klägerin stürzte beim Zuschließen der vorderen Wagentür und fiel auf eine mitgeführte metallene Thermoskanne. Dabei erlitt sie einen Beinbruch.

2

Die Klägerin begehrte erfolglos die Anerkennung dieses Ereignisses als Dienstunfall (Wegeunfall). Das Berufungsgericht hat zur Begründung der Klageabweisung im Wesentlichen ausgeführt: Wegeunfälle im Sinne von § 31 Abs. 2 BeamtVG erfassten nur Schadensereignisse im allgemeinen Verkehr. Hierunter falle der Unfall in der Großgarage schon deshalb nicht, weil diese anders als ein öffentliches Parkhaus nicht für jedermann benutzbar sei. Dies gelte ungeachtet der großen Anzahl der Stellplätze und der Vermietung eines Teils der Stellplätze an gewerbliche Nutzer und deren Besucher. Aus dem Umstand, dass die Klägerin unberechtigt in die Garage eingefahren sei, könnten ihr keine rechtlichen Vorteile erwachsen.

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Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Revision. Sie beantragt sinngemäß,

den Beklagten unter Aufhebung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 19. März 2012 und des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 23. März 2010 sowie des Bescheids des Landesamts für Finanzen vom 12. Dezember 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Oktober 2009 zu verpflichten, das Schadensereignis vom 29. Oktober 2008 als Dienstunfall anzuerkennen und der Klägerin Dienstunfallfürsorgeleistungen zu gewähren.

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Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

5

Die Revision der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 sowie § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 2 VwGO), ist unbegründet. Das Berufungsurteil verletzt kein Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Unfallfürsorge für das Ereignis vom 29. Oktober 2008.

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Für die Unfallfürsorge ist grundsätzlich das Recht maßgeblich, das im Zeitpunkt des Unfallereignisses gegolten hat, sofern sich nicht eine Neuregelung ausdrücklich Rückwirkung beimisst (stRspr; vgl. Urteile vom 24. Oktober 1963 - BVerwG 2 C 10.62 - BVerwGE 17, 59 <60> und vom 13. Dezember 2012 - BVerwG 2 C 51.11 - NVwZ-RR 2013, 522 Rn. 8 sowie zuletzt vom 29. August 2013 - BVerwG 2 C 1.12 - zur Veröffentlichung vorgesehen Rn. 8 m.w.N.). Zum Unfallzeitpunkt war das Bayerische Beamtenversorgungsgesetz vom 5. August 2010 (GVBl S. 410) noch nicht in Kraft getreten. Mangels einer entsprechenden Rückwirkungsregelung ist daher das Beamtenversorgungsgesetz des Bundes in der bis zum 31. August 2006 geltenden Fassung als fortgeltendes Bundesrecht (vgl. Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG, § 108 Abs. 1 BeamtVG) anzuwenden.

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Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG in der danach maßgeblichen Fassung vom 21. Dezember 2004 (BGBl I S. 3592) ist ein Dienstunfall ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist. Gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 BeamtVG gilt als Dienst auch das Zurücklegen des mit dem Dienst zusammenhängenden Weges nach und von der Dienststelle.

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Damit hat der Gesetzgeber den Wegeunfall dem Dienstunfall gleichgestellt, obwohl der Weg von und zur Dienststelle keinen Dienst darstellt. Nach dem Normzweck des § 31 Abs. 2 BeamtVG hat der Gesetzgeber die Unfallfürsorge des Dienstherrn auf die Gefahren des allgemeinen Verkehrs erweitert, denen sich der Beamte aussetzt, um seinen Dienst zu verrichten. Die Gefahren des öffentlichen Straßenverkehrs können weder vom Dienstherrn noch vom Beamten beherrscht oder beeinflusst werden. Die Regelung stellt insofern eine sozialpolitisch motivierte zusätzliche Leistung des Dienstherrn dar. Die gesetzestechnische Konstruktion der Gleichstellung durch eine gesetzliche Fiktion in § 31 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 BeamtVG, ferner Sinn und Zweck sowie die Konzeption dieser Vorschrift als Ausnahmeregelung lassen erkennen, dass es nicht zu einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Ausdehnung der Unfallfürsorge kommen soll, sodass eine restriktive Auslegung der Vorschrift geboten ist (zum Ganzen: Urteil vom 27. Januar 2005 - BVerwG 2 C 7.04 - BVerwGE 122, 360 <361> = Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 15 S. 11).

9

Deshalb sind Schadensereignisse in einem vom Beamten selbst beherrschten privaten Lebensbereich, die seiner Risikosphäre zuzurechnen sind, nicht vom Wegeunfallschutz erfasst, selbst wenn sie sich während eines Wegs zwischen Dienststelle und Wohnung ereignen. Damit gelten etwa Unfälle innerhalb des Wohngebäudes (Urteil vom 17. Oktober 1967 - BVerwG 6 C 29.65 - BVerwGE 28, 105) oder in einer privaten Garage des Beamten (Urteil vom 27. Januar 2005 a.a.O. S. 362 f. bzw. S. 12) nicht als Wegeunfälle im Sinne des § 31 Abs. 2 Satz 1 BeamtVG.

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Aus den vorstehenden Gründen können aber auch Schadensereignisse auf solchen Verkehrsflächen nicht als Wegeunfall angesehen werden, über deren Nutzung ein Dritter alleinverantwortlich entscheidet. Dies gilt auch, wenn sich ihre Benutzung nach den Umständen des Einzelfalls als Teil des Wegs zwischen Dienststelle und Wohnung darstellt. Auf solchen Flächen findet kein allgemeiner Verkehr statt, dessen Gefahren die Unfallfürsorge nach § 31 Abs. 2 Satz 1 BeamtVG erfassen will. Der Verfügungsberechtigte kann die Nutzung einer solchen Fläche durch Verkehrsteilnehmer jederzeit beenden und sie anderweitig nutzen.

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Damit sind gleichfalls etwa private Parkhäuser oder Parkplätze, unabhängig davon, ob sie der Verfügungsberechtigte für jedermann oder einen beschränkten Nutzerkreis geöffnet hat, aber auch sonstige private Flächen, die von Fußgängern oder Fahrzeugen aufgrund ausdrücklicher oder stillschweigender Duldung des Eigentümers genutzt werden können, vom Dienstunfallschutz des § 31 Abs. 2 Satz 1 BeamtVG ausgeschlossen. Dasselbe gilt für Flächen im Eigentum der öffentlichen Hand oder von ihr gewerblich betriebene Parkhäuser und -plätze.

12

Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, an die der Senat mangels Verfahrensrügen nach § 137 Abs. 2 VwGO gebunden ist, war das Parkhaus, in dem das schädigende Ereignis eintrat, keine Verkehrsfläche, auf der allgemeiner Verkehr stattfand. Über die Nutzung des Parkhauses entschied vielmehr einseitig der Verfügungsberechtigte. Danach hatten aufgrund privatrechtlicher Verträge lediglich die Mieter der jeweiligen Parkflächen und deren Besucher berechtigten Zugang zum Parkhaus. Aber selbst wenn der Verfügungsberechtigte es für einen unbeschränkten Nutzerkreis geöffnet hätte, unterbrach die Klägerin mit der Einfahrt in das Parkhaus den Unfallschutz des § 31 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 BeamtVG.